Neben unserem Yogastudio „be yogi“ in der Kriegsstr. 86 befindet sich ein Tagestreff, bzw. im Winter ein Erfrierungsschutz im Winter für obdachlose Männer. Die Einrichtung öffnet um 19:30 Uhr, dann können die Bedürftigen dort ein Bett für die Nacht finden. Besonders jetzt im Winter und in der Vorweihnachtszeit halten sich die Menschen jedoch schon tagsüber gerne vor dem Gebäude auf und verkürzen so gemeinsam die Wartezeit bis zur Öffnung. Gerade zu dieser besonderen Jahreszeit werden sie sowieso ungern in den vom vorweihnachtlichen Konsum bevölkerten Straßen der Innenstadt gesehen.
Eine ganz besondere Yoga-Erfahrung
In unserer Yin & Sound Stunde heute, am 30.11.2024 hatten wir eine besondere Erfahrung. Um das beste Klang-Erlebnis für die Teilnehmer:innen zu ermöglichen, lasse ich den roten Rollladen vor der Eingangstür ganz hinunter. So stören Straßengeräusche, wie Autoverkehr, Straßenbahn und vorbeilaufende Passanten die Entspannung möglichst wenig. Der heruntergelassene Rollladen hat heute wohl nach außen vermittelt, dass sich niemand im Studio aufhält und so haben sich die obdachlosen Männer vor dem Eingang versammelt. Wenig später haben sie auch angefangen sich zu unterhalten, Musik abzuspielen und dazu zu singen.
Zuerst empfand ich die lauten Stimmen als störend und habe die Yogis und Yoginis dazu ermutigt bei sich selbst zu bleiben, sich auf den Atem zu fokussieren und die Außenwelt auszublenden. Als dann aber ein Lied aus dem Lautsprecher erklang und die vor der Tür sitzenden Menschen mitgesungen haben, musste ich schmunzeln.
Das osteuropäische Lied hat so eine warme, positive Stimmung erzeugt, so viel gute Laune durchblicken lassen, dass ich einfach nur staunen konnte. Ich war tief beeindruckt von der Stärke und dem Durchhaltewillen dieser Menschen. Sie schaffen es trotz eisiger Kälte eine Heiterkeit zu erzeugen, Wärme in die Herzen zu bringen, Zusammenhalt über das gemeinsame Singen zu schaffen und aus dieser prekären Situation das Beste zu machen. Während wir privilegierten Menschen im warmen, geheizten Studio, eingemummelt in warme Decken versuchen den Stress der letzten Tage abzubauen. Nie ist mir der Unterschied zwischen Menschen, die viel haben und Menschen, die wenig haben so nah gewesen, so greifbar.
Eigentlich müsste in Deutschland niemand auf der Straße leben, …
… wenn die Ressourcen gerechter verteilt wären. Dazu hat Karlsruhe 2006 ein Projekt gestartet, das Zugang zu bezahlbarem Wohnraum durch das Programm „Wohnraumakquise durch Kooperation“ ermöglicht. Die Stadt Karlsruhe akquiriert erfolgreich privaten Wohnraum für Menschen, die auf dem angespannten Wohnungsraum kaum eine Chance haben. Studien zeigen nämlich, dass es viel teurer ist, jemanden auf der Straße zu lassen, als ihn in einer eigenen Wohnung unterzubringen. Obdachlose brauchen häufig teure Notfallmedizin und die Unterbringung in Gefängnissen ist auch nicht günstig. Und trotzdem ist es nicht genug.
Obdachlosigkeit, bzw. Wohnungslosigkeit als deren Vorstufe passiert schneller, als man denkt. Trennung vom Partner oder der Verlust des Arbeitsplatzes, z. B. aufgrund von Krankheit, Zwangsräumungen wegen steigender Mieten oder Kündigungen wegen Eigenbedarfs passieren schnell. Und ohne Meldeadresse gibt es keine Sozialhilfe und ohne Geld auch keine neue Wohnung.
In den Wohnunterkünften für Obdachlose gibt es häufig nicht genügend Zimmer. Außerdem sind sie nach Geschlechtern getrennt, das heißt der Partner, die Partnerin darf nicht mit unterkommen, ebenso wenig Hunde. Man muss zudem halbwegs nüchtern sein und nicht zu schwach oder zu krank. Zurzeit gibt es etwa 230 obdachlose Männer in Karlsruhe.
Was wir aus dieser Stunde mitnehmen
Unsere Yin & Sound Stunde haben wir mit dem kraftvollsten, vibrierendsten und bis in alle Ecken des Raumes sich ausbreitenden „OM“ beschlossen. Es war schön, die Verbundenheit und Harmonie untereinander zu spüren, nicht nur innerhalb der Gruppe im warmen Studio, sondern auch mit denen da draußen, die mit ihren Liedern Wärme in die kalte Nacht brachten.
Vielleicht kann dieses kleine Erlebnis und auch dieser Text dazu beitragen mit einem anderen Blick auf die obdachlosen Menschen zu schauen: Mit ein bisschen mehr Verständnis und mit ein bisschen weniger negativen Empfindungen, wenn wir das nächste Mal auf dem Weg zum oder aus dem Studio eine Begegnung mit einem Obdachlosen haben. Denn Yoga ist nicht nur eine körperliche Praxis und eine Philosophie. Yoga lädt uns auch ein, tiefer in das Leben zu schauen und uns mit unserer Umgebung auf eine achtsame und mitfühlende Weise zu verbinden. Vielleicht haben die singenden Männer vor der Tür auf ihre Weise die Essenz von „Santosha“, der yogischen Praxis der Zufriedenheit verkörpert und uns daran erinnert, dass Glück und Zufriedenheit nicht immer von äußeren Umständen abhängen. Gleichzeitig wurden wir Yogis und Yoginis dazu eingeladen „Ahimsa“, Gewaltlosigkeit und Mitgefühl auf eine tiefere Ebene zu bringen, unsere Perspektive zu ändern und Empathie für jene zu zeigen, die weniger haben. Mögen solche Momente uns daran erinnern, dass Yoga uns nicht nur auf der Matte begegnet, sondern uns auch auffordert, bewusst, offen und mitfühlend durch die Welt zu gehen.
Es fahren übrigens wieder DRK-Kältebusse durch die Stadt! Kontakt: 07251/922182 oder 07251/922186
Bildquelle: Google Maps