Jede Asana-Familie hat ihre besonderen Vorteile und Eigenheiten. Gleichzeitig stehen auch alle Asanas, die im Rahmen einer Yogastunde vorkommen, miteinander in Beziehung. Die folgenden Tipps, die von Mark Stephens inspiriert sind, sollen dich dabei unterstützen, die Zusammenhänge besser zu verstehen. Wir unterscheiden zwischen den folgenden Asana-Familien:
- Stehhaltungen
- Rumpfkräftigende Haltungen
- Armgestützte Haltungen / Armbalancen
- Rückbeugen
- Drehhaltungen / Twists
- Vorwärtsbeugen
- Umkehrhaltungen
- Endentspannung / Savasana
Vinyasa Krama ist die „Sprache der Asanas“. Sharon Gannon schreibt in ihrem Buch Yoga der Befreiung: „Jede Asana hat eine ganz eigene essenzielle Schwingung, ähnlich den einzelnen phonetischen Lauten, aus denen das Alphabet einer Sprache zusammengesetzt ist. Wenn Asanas richtig miteinander verbunden werden, bilden sie Gebete, die entsprechend der Absicht und dem Inhalt des Gebets bestimmte Wirkungen erzielen. Sequenzen sollten deshalb langsam und sorgfältig und mit Bewusstheit entwickelt werden.“
Asana-Familie 1: Stehhaltungen
Indem wir auf unseren eigenen Füßen stehen (lernen), lernen wir, wie wir von unten nach oben eine solide Grundlage für unseren gesamten Körper schaffen können. Wir erkennen, dass diese Stabilität nicht steif und starr sein muss, sondern elastisch und flexibel wird, wenn wir unsere Fußverbindung zur Erde aktivieren (durch Pada Bandha). Durch die Verbindung von Stabilität und Leichtigkeit in den Stehhaltungen finden wir zu Samasthiti, dem bewussten Stehen. Dies wiederum fördert eine ruhige und gelassene innere Haltung, in der wir die Einheit von Körper, Geist, Atem und Seele erleben können. Dieses Verständnis hilft uns nicht nur in unserer Yoga-Praxis, sondern auch im täglichen Leben, uns mit mehr Leichtigkeit und Freude zu bewegen.
Stehhaltungen kann man sehr gut zu Abfolgen verbinden. Dabei bieten sich für die Übergänge auch Armstützen an, zum Beispiel Chaturanga Dandasana. Gleichzeitig dienen Stehhaltungen wie die Berghaltung, der herabschauende Hund und die Grätsche auch als Ausgangspunkt für weitere Asana-Folgen.
Haltungen aus dieser Asana-Familie können gezielt ausgewählt werden, um die richtigen Voraussetzungen für spätere Übungen zu schaffen, zum Beispiel sind gedrehte Stehhaltungen eine gute Vorbereitung für Stunden mit einem Schwerpunkt auf Rückbeugen. Um auf Armstützen vorzubereiten, lassen sich schon in Stehhaltungen die Schultern mobilisieren, zum Beispiel durch Adler-Arme und das Kuhgesicht.
Asana-Familie 2: Rumpfkräftigende Haltungen
Im Yoga streben wir nach einem starken und dennoch beweglichen Rumpf. Unser Ziel ist es, uns nach außen hin auszudehnen, während wir gleichzeitig unsere Aufmerksamkeit tief in die Mitte unseres Körpers lenken. Eine starke, offene und gut funktionierende Körpermitte wird zur Quelle von Balance, Stabilität und Leichtigkeit. Dabei spielen Asanas und dynamische Übungen eine zentrale Rolle, die die Muskulatur im Bauch- und Rumpfbereich stärken. Dies trägt dazu bei, die Körpermitte zu unterstützen und ermöglicht eine größere Beweglichkeit in Verbindung mit Becken und Wirbelsäule.
Rumpfkräftigende Übungen erzeugen Hitze und wärmen ganz besonders Wirbelsäule, Becken, Bauch und Rücken auf. Die wichtigsten (Bauch-)Muskeln sollten möglichst gleichmäßig aktiviert werden. Aktive, kraftvolle Bauchmuskeln verleihen insbesondere den armgestützten Haltungen mehr Stabilität und Leichtigkeit.
Es ist jedoch zu beachten, dass intensive Arbeit an den Bauchmuskeln verhindern kann, dass die Wirbelsäule ihre volle Länge entwickelt. Daher sollten tiefe Rückbeugen in der Abfolge nicht unmittelbar auf Vertreter dieser Asana-Famile folgen. Stattdessen ist es ratsam, den Bauch zwischen ihnen durch einfache Drehungen zu neutralisieren. Noch besser ist es, die Bauchmuskeln erst nach den Rückbeugen anzusprechen, um der Lendenwirbelsäule wieder Stabilität zu verleihen.
Asana-Familie 3: Armgestützte Haltungen / Armbalancen
Armgestützte Haltungen haben eine doppelte Wirkung: Sie fördern Selbstvertrauen und Bescheidenheit. Da sie oft herausfordernd sind, erfordern sie beim Üben eine gute Portion Humor und Freude am Experimentieren. Dies unterstreicht, was für alle Yoga-Übungen gilt: Geduld und regelmäßiges Training führen im Laufe der Zeit zu Fortschritten, während Ehrgeiz und Ungeduld fast immer zu Frustration und möglichen Verletzungen führen. Besonderes Augenmerk sollte auf die Handgelenke gelegt werden, da Schmerzen und selbst leichte Spannungen wichtige Warnsignale sind. Es gibt jedoch geeignete Hilfsmittel, Vorübungen, therapeutische Übungen und eine korrekte Technik mit aktiven Händen, um den Druck auf die Gelenke so gering wie möglich zu halten.
Zusätzlich zur Kraft und Beweglichkeit in Handgelenken, Armen und Schultern sind für armgestützte Haltungen auch der Rumpf von großer Bedeutung. Er verleiht den Haltungen Leichtigkeit und Auftrieb. Gleichzeitig ist es wichtig, dass der Rumpf flexibel bleibt und sich nicht verkrampft oder schwer wird. Die richtige Balance zwischen aktiver Stärke und entspannter Entfaltung von innen nach außen ist daher entscheidend. Die Basis für (fast) alle Haltungen aus dieser Asana-Familie ist der herabschauende Hund.
Nach dem Üben von armgestützten Haltungen ist es ratsam, immer die Handgelenke zu dehnen und zu lockern. Armgestützte Haltungen erwärmen den Körper im Allgemeinen und bereiten ihn somit gut auf Rückbeugen vor. Abhängig von den zuvor geübten Armbalancen ist es jedoch wichtig, die entsprechenden Muskeln in Schultern und Hüften zu dehnen.
Asana-Familie 4: Rückbeugen
Rückbeugen laden zu einer leidenschaftlichen Yoga-Praxis ein, sie stimulieren das sympathische Nervensystem, was zu einem wärmeren und belebenden Effekt führt. Da Übungen aus dieser Asana-Familie den gesamten vorderen Teil des Körpers tief dehnen, kann ein freies und weites Gefühl im Herzraum entstehen.
Rückbeugen sollten erst als „Gipfelpose“ der Sequenz platziert werden, wenn der Körper gut aufgewärmt und flexibel ist. Um diese Wärme und Mobilität zu schaffen, eigenen sich zum Beispiel Sonnengrüße. Um die Dehnung in den Hüften zu verbessern, empfiehlt es sich, die Oberschenkel, Hüftbeuger und Leisten vorzubereiten. Dies kann durch geeignete Stehhaltungen erreicht werden, wie zum Beispiel der tiefe und hohe Ausfallschritt. Um den Schultergürtel sicher auf Rückbeugen vorzubereiten eignen sich Übungen wie der herabschauende Hund und die Armpositionen von Adler und Kuhgesicht.
Ganz wichtig nach Rückbeugen sind die lösenden Gegenbewegungen, wie zum Beispiel Stellung des Kindes, herabschauender Hund, evtl. mit gebeugten Beinen oder Apasana (an den Rumpf gezogene Beine in Rückenlage) an.
Asana-Familie 5: Drehhaltungen / Twists
Drehungen sind Alleskönner: Sie halten die Wirbelsäule gesund, öffnen die Brust, Schultern und Nacken und mobilisieren die Hüften. Drehungen können auch dazu beitragen, physische und emotionale Spannungen im Körper zu lösen und den Geist in einen ausgeglicheneren (sattvischen) Zustand zu versetzen. Sie sind „wechselwarm“: Sie wärmen, wenn der Körper eher kühl ist, und kühlen, wenn der Körper eher erhitzt ist. Achte darauf Drehhaltung gleichermaßen auf beide Seiten zu üben, um ein Gleichgewicht in der Praxis zu bewahren. Als Gegenbewegung zu intensiven Drehungen eignet sich eine symmetrische Vorwärtsbeuge, die Hüften und Beine wieder mittig ausrichtet.
Aufgrund dieser vielseitigen Eigenschaften können Drehhaltungen in Yoga-Sequenzen an verschiedenen Stellen eingesetzt werden:
- Drehhaltungen im Aufwärmteil: Spannungen, die durch andere Asanas entstehen, frühzeitig lösen
- Drehhaltungen im Stehen: Becken stabilisieren, Wirbelsäule verlängern
- Nach einer tief entspannenden Abfolge von Vorwärtsbeugen und Übungen zur Mobilisierung der Hüften: Nervensystem sanft stimulieren, Energie wieder in Fluss zu bringen
- Detox-Yoga: Reinigung des Körpers durch Förderung der Verdauung und Entgiftung des Lymphsystems
Asana-Familie 6: Vorwärtsbeugen
Vorwärtsbeugen sind Asanas, die tief beruhigend wirken und unsere Aufmerksamkeit weg von der äußeren Welt hin zu den inneren Erfahrungen und Geheimnissen des Lebens lenken. Diese Haltungen stimulieren die Becken- und Bauchorgane sowie die unteren Chakras, was dazu führen kann, dass tief verwurzelte Emotionen und Impulse an die Oberfläche kommen. Wenn wir beispielsweise in die klassische Vorwärtsbeuge eintauchen, werden wir auf natürliche Weise zur Selbstreflexion geführt. Andererseits hat eine Haltung wie Balasana, die Kindesstellung, eine klare beruhigende und regenerierende Wirkung.
Um in Vorwärtsbeugen wirklich loslassen zu können, ist es entscheidend, die gesamte Muskelkette entlang der Rückseite des Körpers zu entspannen. Dieser Prozess beginnt bei den Faszien der Fußsohlen, erstreckt sich über die Beine und das Gesäß bis zum oberen Rücken. Diese Entspannung erfordert Geduld, da die Spannungen entlang der Rückseite des Körpers sich nur allmählich lösen. Nähere dich allen Vorwärtsbeugen mit bewusster Leichtigkeit und Mühelosigkeit.
Nach asymmetrischen Vorwärtsbeugen, wie zum Beispiel der Vorwärtsbeuge mit einem gebeugten Knie stellen Vorbeugen, bei denen beide Beine gleichzeitig gestreckt und zusammengeführt sind (sog. symmetrischen Vorbeugen) wieder einen Ausgleich her. Vorwärtsbeugen im Sitzen kann man in der Sequenz gut abwechseln mit Übungen zur Hüftmobilisierung und mit Drehhaltungen. Die Hüftöffner erzeugen dadurch mehr Ruhe und die Drehungen wirken eher stimulierend. Nutze Vorwärtsbeugen, um die Mobilität und Körperintelligenz für Armbalancen zu optimieren, bei denen die Körperteile ähnlich positioniert sind.
Asana-Familie 7: Umkehrhaltungen
In Umkehrhaltungen stellen unsere Welt auf den Kopf und können uns neue Perspektiven geben. Außerdem verbessern sie die Muskelkoordination und schenken uns so mehr Halt und Leichtigkeit in einer Reihe von anderen Asanas. Besondere Vorsicht ist bei vielen Umkehrhaltungen für den Nacken geboten. Nutze geeignete Hilfsmittel und Varianten, um möglichst wenig Druck auf die empfindlichen Halswirbel auszuüben. Achte auf eine gerade Ausrichtung der gesamten Wirbelsäule.
Wen Kopfstand und Schulterstand abschrecken, kann den Großteil der positiven Wirkungen dieser Asana-Familie schon in einfachen Umkehrhaltungen wie dem halben Schulterstand oder der umgekehrten Stabhaltung erzielen. Beide Haltungen wirken beruhigend und sind auch bei Nackenproblemen geeignet.
Asana-Familie 8: Endentspannung / Sahvasana
Die Endentspannung in Rückenlage steht (mindestens) am Ende jeder Yogapraxis. Das Loslassen und „in den Boden sinken“ bietet Körper und Geist die Möglichkeit, die Aktivität zu integrieren, sich zu regenerieren und energetisch aufzuladen. Über diese sehr wichtige und häufig unterschätzte Asana hat Laura einen eigenen Beitrag geschrieben, indem sie auch beobachtet hat, was Schüler und Lehrer eigentlich wirklich während Shavasana machen.
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Du hast gerade einen Auszug aus dem Workbook für die Yoga-Ausbildung bei be yogi gelesen. In einem 16-Tage-Intensivkurs kannst auch du tief in Yoga-Philosophie, Anatomie und Asana-Kunde eintauchen und dein Ready-To-Teach-Zertifikat als 200h Yogalehrer erhalten.
Jetzt hast du einen kleinen Einblick bekommen, was deine Yoga-Lehrer und Lehrerinnen alles beachten, wenn sie eine ausgeglichene Yoga-Stunde für dich und deine Mattennachbar:innen konzipieren. Vielleicht helfen dir diese Infos ja auch dabei, bei deiner privaten Yoga-Praxis zuhause Übungen aus den verschiedenen Asana-Familien besser auszuwählen und aufeinander abzustimmen.