Als Kind der 1960er Jahre (*1966) fiel meine Jugendzeit voll in die 1980er Jahre. Ich kann nicht abstreiten, dass auch ich mit positiven Gefühlen an die 1980er Jahre zurückdenke. Diese Zeit war geprägt von einem unvergleichlichen Gefühl der Freiheit und Selbstbestimmtheit:
- Die Musik und Mode boten unendliche Möglichkeiten, sich auszudrücken und eigene Wege zu gehen.
- Der Zugang zu neuen Technologien wie dem Personal Computer eröffnete bisher ungeahnte Freiräume für Kreativität und Selbstentfaltung.
- Politische Veränderungen (Mauerfall) weltweit nährten die Hoffnung auf eine bessere Zukunft und stärkten das Vertrauen in die eigene Stimme.
Kein Grund zur Freude: Schopenhauers Philosophie
Schopenhauers philosophischer Pessimismus steht eher im Kontrast zu dem Optimismus und der Lebensfreude, die viele mit diesem Jahrzehnt verbinden. Das Zitat „Du kannst tun, was du willst, aber nicht wollen, was du willst“ wird ihm zugeschrieben und fasst einen zentralen Aspekt seiner Philosophie zusammen. Schopenhauer argumentierte, dass der menschliche Wille von Natur aus frei ist, wenn es um Handlungen geht. Jedoch sind die Motive und Begehren, die diese Handlungen antreiben, determiniert, das heißt durch Vorbedingungen festgelegt, und somit nicht frei wählbar.
Vor Kurzem bin ich über dieses Zitat gestolpert und habe länger darüber nachgedacht. Aus der Perspektive der yogischen Philosophie gibt es sowohl Überschneidungen als auch Unterschiede zu Schopenhauers Ansicht.
Yoga: Definitionen und Wege zur Freiheit
Die yogische Philosophie, insbesondere wie sie in den Yoga-Sutras von Patanjali dargelegt wird, betont die Bedeutung von Selbstbeherrschung, Disziplin und der Befreiung (Moksha) von den Bindungen des Karmas und der Illusionen (Maya), die durch Unwissenheit (Avidya) entstehen.
- Freiheit des Willens: In der yogischen Philosophie wird anerkannt, dass der Mensch die Fähigkeit hat, seinen Willen auszuüben, um sein Karma zu beeinflussen und spirituelles Wachstum zu fördern. Dies steht im Einklang mit Schopenhauers Ansicht, dass Menschen Handlungen wählen können.
- Determinismus des Wollens: Während Schopenhauer betont, dass das Wollen (Begehren) selbst determiniert ist, bietet die yogische Philosophie einen Weg zur Transformation des Wollens an. Durch Praktiken wie Meditation, Pranayama (Atemübungen) und Dhyana (Kontemplation) strebt Yoga danach, die Identifikation mit dem egozentrischen Selbst zu überwinden. So kann man ein höheres Bewusstsein erreichen, in dem dann auch die Begehren (Kleshas) überwunden werden können.
- Durch Yogatechniken wie geistige Disziplin und spirituelle Praxis ist es möglich (zu einem gewissen Grad) zu „wollen, was man will“, indem man die Wurzeln des Leidens erkennt und sich davon befreit.
- Moksha und Freiheit: Ein zentrales Ziel der yogischen Philosophie ist Moksha, die Befreiung von dem Zyklus der Wiedergeburten (Samsara). Diese Befreiung umfasst die Freiheit von den Fesseln des Begehrens und der Unwissenheit. In diesem Zustand der Erleuchtung oder des Samadhi wird der individuelle Wille mit dem universellen Willen harmonisiert. In der yogischen Philosophie stellt dies eine Form der ultimativen Freiheit dar, die deutlich über Schopenhauers Konzept des Willens hinausgeht.
Exkurs: Die Freiheit des Willen aus wissenschaftlicher Sicht
In der Physik gibt es zwei entgegengesetzte Modelle. Die deterministische Sicht der klassischen Mechanik postuliert die Vorhersagbarkeit der Zukunft bei genügender Information. Die Quantenmechanik bringt Indeterminiertheit und partiellen Zufall („Schrödingers Katze“) ins Spiel, was einige Wissenschaftler als mögliche Grundlage für Willensfreiheit interpretieren.
Durch den Einsatz bildgebender Verfahren in der Hirnforschung sieht man, dass bestimmte Entscheidungen im Gehirn getroffen werden, bevor sie dem Bewusstsein zugänglich sind. Dies wirft Fragen bezüglich der realen Freiheit bei Entscheidungen auf, obwohl die Möglichkeit eines „Vetorechts“ des Bewusstseins im Raum steht. Neuere Erkenntnisse deuten darauf hin, dass frühzeitig gestartete Gehirnaktivitäten willentlich gestoppt werden können. Das weist auf eine weniger eingeschränkte Willensfreiheit hin als bisher angenommen.
In der Psychologie haben Experimente gezeigt, dass das Gefühl der Willensfreiheit möglicherweise eine Illusion ist, die durch unbewusste mentale Prozesse geprägt wird. Die Forschung zum Glauben an Willensfreiheit untersucht dessen Auswirkungen auf verschiedene Einstellungen und Verhaltensweisen. Der metaphysische Status des freien Willens bleibt dabei allerdings offen.
Seit kurzer Zeit gibt es auch immer wieder Diskussionen über die Fähigkeiten von KI im Hinblick auf eigenständige Entscheidungen. Die für Willensfreiheit erforderlichen Bedingungen sind die Möglichkeit, anders zu handeln, Urheberschaft und Kontrolle ohne äußere Zwänge. Treffen diese möglicherweise auch auf technische Agenten zu?
Die Genetik schließlich beleuchtet die Frage, inwiefern genetische Faktoren und Umwelteinflüsse die Willensfreiheit eines Menschen beschränken. Hierbei gilt das Zusammenspiel zwischen genetischer Disposition und Umwelt als limitierender Faktor für individuelle Freiheit.