Die Lehren von Patanjali bringen Licht in das oft komplexe Labyrinth des menschlichen Geistes. Sie identifizieren eine Reihe von internen Blockaden, die als Kleshas bekannt sind und uns daran hindern, unser wahres Potenzial zu erkennen und Frieden im Inneren zu finden. Diese Kleshas können als psychische Barrieren betrachtet werden, die sich negativ auf unsere Wahrnehmung und Reaktion auf die Welt auswirken.
Ein Überblick über die fünf Kleshas
- Avidya: Die Illusion der Wirklichkeit 🤔
- Asmita: Das übermäßige Selbstbild 🙃
- Raga: Die Fesseln der Begierde 🤑
- Dvesha: Der Schatten der Abneigung 🤢
- Abhinivesha: Die unbestimmte Angst des Unbekannten 😨
Avidya: Die getrübte Sicht
In den Lehren Patanjalis stellt Avidya, das falsche Verständnis oder Nicht-Wissen, die Basis aller menschlichen Leiden dar. Dies ist ein Zustand, in dem unser Wissen durch unsere individuellen Lebenserfahrungen und Konditionierungen gefärbt wird, und nicht durch objektive Wahrheit. So sehen wir die Welt oft durch die Linse unserer vorgefassten Meinungen und nicht, wie sie wirklich ist. Patanjali nennt vier Merkmale von Avidya, die verdeutlichen, dass es beim „Nicht-Wissen“ um weit mehr geht als nur um fehlende Informationen:
- Nitya-Anitya: Das Unbeständige für ewig halten. Wir gehen mit den natürlichen Ressourcen der Erde so um, als ob diese unerschöpflich wären, und leben (romantische) Beziehungen so, als ob sie ewig anhalten könnten. Dieses Verschließen vor der Endlichkeit führt auch dazu, dass man sich selbst als statisch begreift und nicht merkt, wie wandelbar man ist.
- Suchi-Asuchi: Das Unreine für rein halten. Momentan passiert das sehr häufig – gerade auch Unternehmen nutzen diesen Aspekt von Avidya aus – in Bezug auf den Umweltschutz. Beim „Greenwashing“ verschließen wir die Augen vor den negativen Auswirkungen unseres Konsums und lassen uns zu gerne einreden, dass unser Verhalten nicht schlimm oder sogar gut für die Natur wäre.
- Sukha-Duhkha: Leid mit Glück verwechseln. Abhängigkeit von Drogen, Spielsucht oder ein gestörtes Essverhalten (Lesetipp: Emotionen und Heißhunger) sind die extremsten Beispiele hierfür. Kurzfristig bringen diese Verhaltensweisen Freude in unser Leben, langfristig schaden sie uns aber. Glück finden wir durch sie nicht – nur schnelle Befriedigung.
- Atma-Anatma: Nicht-Selbst mit wahrem Selbst verwechseln. Wenn du deinen Selbstwert an äußere Gegebenheiten wie deinen Beruf, dein Einkommen oder deine soziale Anerkennung knüpfst, dann entspricht das diesem Merkmal von Avidya. Genauso, wenn du deine kurzfristigen und wechselhaften Gedanken und Emotionen für dein wahres Selbst hältst, anstatt hinter diese Zustände zu sehen.
Asmita: Das verzerrte Spiegelbild des Selbst
Asmita, der überhöhte Egosinn, reflektiert oft nicht unser wahres Selbst, sondern ein Selbstbild, das von äußeren Einflüssen geprägt ist. Dieses verzerrte Selbstbild kann zu Egozentrik führen, in der wir uns als Mittelpunkt des Universums sehen, was wiederum unser Verhalten und unsere Beziehungen beeinträchtigt.
In einem alltäglichen Kontext zeigt sich dieses Klesha zum Beispiel bei einer Person, die in einer Gruppenarbeit stets darauf besteht, dass nur ihre Ideen umgesetzt werden, oder jemand, der nicht in der Lage ist, konstruktive Kritik anzunehmen, weil er sich in seiner eigenen Wahrnehmung und seinen Fähigkeiten zu sicher fühlt.
Raga: Das endlose Streben nach mehr
Angetrieben von angenehmen Erlebnissen, entwickelt der menschliche Geist eine unkontrollierbare Begierde, diese ständig wiederholen zu wollen. Raga repräsentiert diese unaufhörliche Sehnsucht, die oft in einer ungesunden Besessenheit oder Sucht endet. Du merkst, dieses Klesha ist auch eng verbunden Sukha-Duhkha, einem Merkmal von Avidya. Beispiele für diese ungesunde Geisteshaltung findest du unter anderem…
- … in unserem Konsumverhalten: „Ich brauche das neue iPhone, auch wenn das alte noch voll funktionsfähig ist.“ – Wir kaufen uns gefühltes, kurzfristiges Glück.
- … bei der Nahrungsaufnahme: Zu viel zu Essen oder bestimmte Lebensmittel zu sich zu nehmen, obwohl am weiß, dass es langfristig ungesund ist, getreu dem Glaubenssatz „Das habe ich mir jetzt verdient“.
- … in der Nutzung sozialer Medien: Das ständige Überprüfen von Likes und Kommentaren, weil die Aufmerksamkeit und Anerkennung durch andere als angenehm empfunden wird, kann zu einer Sucht werden.
- … in Bezug auf unsere Arbeit: Überidentifikation mit dem beruflichen Erfolg kann das Erklimmen der Karriereleiter zum zentralen Lebensinhalt machen, während andere Lebensaspekte vernachlässigt werden.
Dvesha: Der Reflex des Widerstands
Auf der gegenüberliegenden Seite von Raga steht Dvesha, die tief verwurzelte Abneigung gegenüber negativen Erfahrungen oder Vorurteilen. Es veranlasst uns, vorschnell zu urteilen und Situationen oder Menschen zu meiden, oft basierend auf einer einmaligen negativen Erfahrung. Hier sind einige Beispiele für Dvesha im täglichen Leben:
- Du entwickelst eine tiefe Abneigung gegen jegliche Form von körperlicher Anstrengung oder Sport, weil du in der Vergangenheit dabei Schmerzen oder Unbehagen erlebt hast. Du lebst ungesünder.
- Du reagierst sehr empfindlich auf Kritik und meidest jede Situation, in der Feedback möglich ist und schränkst so selbst deine Möglichkeiten auf persönliches oder berufliches Wachstum ein.
- Du wurdest als Kind dazu gezwungen, bestimmte Nahrungsmittel zu essen, die dir nicht schmeckten. Als Erwachsener weigerst du dich weiterhin diese Lebensmittel zu essen, selbst wenn sie gesundheitlich vorteilhaft wären.
Abhinivesha: Der Schatten der unbekannten Angst
Diese tief verwurzelte Angst vor dem Unbekannten, oft verkörpert durch die Angst vor dem Tod, kann lähmend wirken. Es ist diese unbestimmte Angst, die uns oft daran hindert, Risiken einzugehen oder unser volles Potenzial zu leben. Die Angst, die allen Ängsten zugrunde liegt, zeigt sich zum Beispiel in diesen Situationen:
- Der Widerstand gegen Veränderungen im Leben, weil sie als Bedrohung für die vertraute und sicher geglaubte Lebensweise angesehen werden.
- Das obsessiv übermäßige Beschäftigen mit Gesundheit, wie ständige Arztbesuche ohne medizinische Notwendigkeit oder die exzessive Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln, um Krankheiten zu verhindern.
- Der Einsatz von Anti-Aging-Produkten und -Verfahren in dem Glauben, den Alterungsprozess aufhalten zu können.
- Die Weigerung, über den Tod zu sprechen oder Pläne für das Lebensende zu machen, aus Furcht vor der Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit.
Wie kann man seine Kleshas eliminieren?
Die Kleshas bieten Einblicke, die uns helfen, mentale Hindernisse zu erkennen und den Weg der Selbstreflexion und Selbstverwirklichung zu beschreiten. Diese Erkenntnisse sind nicht nur in antiken Texten verankert, sondern werden auch durch zeitgenössische psychologische Untersuchungen bestätigt, die darlegen, wie solche inneren Barrieren unsere Gesundheit und unser allgemeines Wohlbefinden beeinflussen. Die Intensität der Kleshas variiert. Manchmal sind sie subtil oder kaum bemerkbar, manchmal dominieren sie deutlich unsere Handlungen. Durch Achtsamkeit können wir diese inneren Barrieren identifizieren. Es ist wichtig, einen Moment der Reflexion zu nehmen, um aus dem automatischen Reaktionsmodus auszubrechen und dann bewusst zu entscheiden, wie man weiter vorgehen möchte. Obwohl die Kleshas nach Patanjali nie vollständig eliminiert werden können, bietet der achtgliedrige Pfad Techniken, um ihren Einfluss zu minimieren.
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